„Wenn deine Eltern dann nicht für dich da sind, bist du verloren.“ – Interview mit Konstantin Walter

Leistungssport ist ein knallhartes Geschäft: Hoher psychischer Druck und regelmäßige körperliche Überlastung gehören genauso wie strenge Ernährungspläne oder fehlende Freizeit zur Alltagsrealität von Topsportler*innen. Wer in einem Bundeskader nicht die erhoffte Leistung bringt, wird schnell aussortiert. „Der Nächste, bitte.“

In Deutschland bedeutet eine professionelle Leistungssportkarriere für viele olympische und paralympische Athlet*innen auch nur in den seltensten Fällen ein gesichertes Einkommen oder größere Berühmtheit. Deshalb geben viele hoffnungsvolle Talente ihren Traum schon weit vor ihrem sportlichen Zenit auf. Andere Sportler*innen sind durch Verletzungen oder neue Lebensumstände gezwungen, sich umzuorientieren. Auch einige Athlet*innen des GOLDENEN RING kehrten trotz großen sportlichen Potenzials dem Leistungssport den Rücken. In unserer Serie „Was macht eigentlich…?“ sprechen wir mit unseren ehemaligen Stipendiat*innen, was aus Ihnen geworden ist und wie ihr Leben heute aussieht.

Den Start macht Konstantin Walter. Der gebürtige Erlanger gehörte in seinem Jahrgang zu den größten deutschen Schwimmtalenten. Bis 2015 besuchte er die Eliteschule des Sports (Bertolt-Brecht-Schule) in Nürnberg-Langwasser. Zu seinen größten Erfolgen zählten der Titel des Deutschen Jahrgangsmeisters (1997), Jugendeuropameister in der 4x200m Freistilstaffel 2014 und Vizejugendeuropameisters mit der 4x100m Freistil- und 4x100m Lagenstaffel in 2014. Bei der Jugendeuropameisterschaft in Baku schwamm er in der 4x200m Freistil-Staffel und der 4x100m Freistil-Mixed-Staffel zu doppelter Bronze. 

Konstantin Walter gehörte zu den acht geförderten Athlet*innen mit denen der GOLDENE RING im Januar 2016 seine Mission begann. In den folgenden eineinhalb Jahren kämpfte Konstantin Walter damit, die hohen Erwartungen, die seine Erfolge im Jugendbereich mit sich brachten, auch bei den Senioren zu bestätigen. Im Jahr 2017 fühlte sich Konstantin dem immensen Druck nicht mehr gewachsen und entschied sich für einen ganz anderen Lebensweg. Wir haben den heute 24-jährigen für ein Interview kontaktiert.

DER GOLDENE RING (DGR): Wir fallen gleich mal mit der Tür ins Haus: Konni, wo lebst du heute und was machst du beruflich?

Konstantin Walter (Konni): Ich habe eine Wohnung in Erlangen und eine in Benediktbeuern, südlich von München. Im Moment studiere ich soziale Arbeit und habe davor vier Semester Sportwissenschaften studiert. Allerdings war das nicht das, was ich unbedingt wollte. Nachdem ich mit dem Leistungssport aufgehört habe, dachte ich tatsächlich, ich will unbedingt weiter was mit Sport zu tun haben. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass mir das erstens zu theoretisch ist und ich zweitens erstmal Abstand vom Sport brauche. 

DGR: Aber ganz ohne Sport geht es doch nicht, oder? Wie sieht dein derzeitiges Sportpensum aus?

Konni: Ich versuche jeden Tag Sport zu machen, aber nur das, worauf ich Bock habe, wie Rennradfahren, Laufen, Wandern, Langlaufen. Also eigentlich alles außer Schwimmen. Ich war auch seit ich aufgehört habe, nicht mehr so oft im Wasser.

 

DGR: Vermisst du die Zeit als Leistungssportler? Bereust du manchmal, dass du ausgestiegen bist?

Konni: Ich vermisse auf jeden Fall ein paar Aspekte. Aber es gibt auch Sachen, die ich überhaupt nicht vermisse. Wenn ich über die Zeit reflektiere, habe ich viel gelernt, zum Beispiel Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Disziplin. Aber in gewissen Momenten war das auch einfach zu viel. Ich glaube nicht, dass ein 13- oder 14-Jähriger dieses Maß an Maßregelung und Disziplin braucht. Es wurde mit Druck gearbeitet. Aber klar, Ich vermisse es schon mit den Jungs ins Trainingslager oder auf Wettkämpfe zu fahren.

DGR: Womit verbringst du deine Freizeit neben den sportlichen Aktivitäten?

Konni: Ich habe endlich Zeit für Freunde und für mich. Das hatte ich vorher nie. Mein Sozialleben hat unfassbar darunter gelitten. Ich hatte 30 bis 35 Stunden Training, 30 Stunden Schule, am Wochenende dann noch Training, Wettkämpfe oder irgendwelche Lehrgänge. Das hat das komplette Leben eingenommen. Ich war zum Beispiel nie an Geburtstagen in der Familie dabei, weil jedes Wochenende irgendwas war. Dann ist man außen vor und verpasst schon wichtige Jahre des Lebens.

Bis ich 21 Jahre alt war habe ich nichts mitgenommen, was man eigentlich sonst mitnimmt. Als ich aufgehört habe, habe ich mich charakterlich und menschlich ganz anders weiterentwickelt. Vorher war man in seiner Sport-Bubble drin und hat viele Sachen gar nicht so verstanden wie sie eigentlich sind. Jetzt wertschätzt man die Dinge ganz anders. Ich will den Leistungssport nicht per se schlecht reden, aber er ist meiner Meinung nach manchmal nicht ganz so gesund.

DGR: Würdest du heute den gleichen Weg gehen, den du damals gegangen bist oder würdest du etwas anders machen?

Konni: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, ich würde grundsätzlich Vieles genauso machen, aber mit einer anderen Einstellung. Ich würde die Dinge nicht so ernst nehmen, wie ich es damals tat. Egal ob bei Wettkämpfen oder Großereignissen, mir ging es schon mehrere Tage davor schlecht. Ich machte mir viele Gedanken…

Ein gutes Beispiel sind die Jugendeuropameisterschaften 2014. Wir waren nicht unbedingt die Favoriten. Aber die Zielvorgabe von außen war, dass wir auf jeden Fall eine Medaille holen müssen. Wir waren alle noch recht jung und bekamen schon relativ viel Druck von außen, obwohl wir uns selber schon genug Druck gemacht haben. Da ging es den meisten spätestens 48 Stunden vor dem Wettkampf schlecht, weil man die ganze Zeit Kopfkino hatte: Was passiert, wenn es mit der Medaille nicht klappt? Wie schnell schwimmt man? Am Ende des Tages haben wir mit der U20-Staffel das Ding gewonnen. Es fällt zwar der ganze Druck von einem ab, aber man kann es auch nicht so richtig genießen, weil man so negative Emotionen mit dem Vorfeld des Wettkampfs verbindet. Ich kann mich erst Jahre später richtig darüber freuen.

DGR: Welchen Tipp kannst du jungen Sportlern mit gleichen Ambitionen geben?

Konni: Auf jeden Fall möglichst viel Spaß zu haben. Klar, ist es das Ziel von Leistungssportlern, dass sie Medaillen oder Pokale gewinnen und zu Olympia fahren. Aber ich glaube, es ist ganz wichtig für einen 12-jährigen Jungen oder ein 12-jähriges Mädchen, dass sie dabei Spaß haben. Schließlich hat jeder mit dem Sport angefangen, weil er Bock darauf hatte.

Es ist ein umstrittenes Thema, wie man mit Sport in einer Leistungsgesellschaft umgehen soll. Es gibt so viele Leistungssportlerinnen und Leistungssportler, die daran kaputtgehen. Es wird oft vergessen, dass es Dinge gibt, die nicht gesund sind. Das ist auch nicht das Problem des Sports an sich, sondern wie wir ihm begegnen. Wie heroisch Leute gefeiert werden, wenn sie den Olympiasieg geholt haben. Das sind die Helden, die wir uns aktuell suchen. Das ist einerseits cool, andererseits vermittelt es der nachfolgenden Sportlergeneration, dass sie nur etwas zählen, wenn sie diesen maximalen Erfolg auch schaffen. Man sieht nicht wie hart und lange ein Athlet dafür trainiert hat, auch wenn er dann 28. und nicht Erster wird. Es kann nicht sein, dass er dann von irgendwelchen Leuten dafür zerrissen wird. Es ist seine Sache und er hat auch keine Bringschuld der Gesellschaft oder den Medien gegenüber. 

DGR: Hast du noch Kontakt zu alten Weggefährten aus dem Leistungssport? 

Konni: Mit Henning Mühlleitner habe ich noch Kontakt. Wir haben damals die Staffel zusammen gewonnen. Er ist heute noch aktiv und wurde in Tokio 4 über die 400 Meter Freistil. Ihn sehe ich eigentlich regelmäßig. Und auch mit einigen Jungs, mit denen ich bei den Europaspielen in Baku war, habe ich Kontakt. Sport schweißt zusammen. Das ist dann das Positive, dass man im Sport mitnimmt.

DGR: Was war damals der Grund für deinen Ausstieg aus dem Leistungssport?

Konni: Es gab mehrere Faktoren. Zu dem Zeitpunkt war mein Abitur gerade rum und ich befand mich in einer Lebenswechselphase, wollte aber unbedingt weitermachen. Irgendwie hat sportlich auch ein wenig die Wertschätzung gefehlt. Und es gab zusätzlich wahnsinnig viel Druck. Das war kurz vor den Olympischen Spielen in Rio. Da waren die Erwartungen natürlich umso höher. Ich war auch ganz einfach mit der Situation überfordert. Egal ob psychisch oder physisch. Auch mein Körper war am Limit angekommen. Ich hatte mit 19 Wirbelsäulenprobleme und fast einen Bandscheibenvorfall. Nach einer kurzen Pause, bin dann die Saison noch geschwommen und wir sind im Sommer 2016 nochmal Deutscher Meister geworden. Ich bin auch im Frühling 2017 noch anständige Zeiten geschwommen, aber 2018 war das Ding durch. Ich musste dann noch ein Jahr abtrainieren, damit das Herz-Kreislaufsystem sich an die fehlende Belastung anpasst.

DGR: Wie wichtig ist mentale Gesundheit deiner Meinung nach im Sport?

Konni: Ich glaube, dass mentale Gesundheit eine essentielle Voraussetzung ist, um im Leistungssport groß zu werden. Denn in gewisser Weise wirst du allein gelassen. Es interessiert einfach keinen. Wenn deine Familie dann nicht für dich da ist, bist du verloren. Dann interessiert das deinen Trainer und den Bundestrainer nicht. Man hat keinen Ansprechpartner. Ich hatte während meiner Leistungssportkarriere nie eine Phase in der ich Zeit hatte darüber zu reflektieren, was gerade überhaupt passiert. Ich kam mit zehn Jahren in die erste Mannschaft im Landesstützpunkt und trainierte täglich ein bis zweimal. Mit 14 Jahren hat mich ein Trainer mit Lungenentzündung und Fieber auf Antibiotikum ins Wasser geschickt. Das sind Erfahrungen, die ich leider gemacht habe. Ich hoffe auch, dass sich da etwas ändert. Michael Phelps oder Simone Biles zum Beispiel haben auf das Thema aufmerksam gemacht. Sie haben gezeigt, dass Sportler trotz ihrer Erfolge mentale Probleme haben können. Angststörungen, Panik oder Depressionen sind weit verbreitet. Das kommt vor allem dadurch, dass Leistungssportler sich ausschließlich über den Leistungssport definieren.

DGR: Wo siehst du dich in 20 Jahren und was sind deine nächsten Ziele im Leben?

Konni: Ich bin 2019 in die Kommunalpolitik gegangen und wurde 2020 in den Stadtteilbeirat gewählt. Das macht mir Spaß, das interessiert mich, aber ob ich dauerhaft dabeibleibe, kann ich jetzt noch nicht sagen. Nach dem Karriereende lag mein Fokus darauf auszuprobieren, was mir Spaß macht und was nicht. Und auch mal neue Sachen anzugehen, ohne dass man unbedingt der Beste sein muss oder Druck haben muss. Deswegen bin ich auch sehr zufrieden, mit dem was ich studiere und was ich politisch nebenbei mache. Ich habe keine genaue Vorstellung davon, was ich unbedingt mal machen möchte. Zuallererst den Bachelor und dann schaue ich, was passiert. Was ich interessant fände: im Resozialisierungsprogramm mit straffälligen Jugendlichen oder Erwachsenen zu arbeiten.

DGR: Danke für deine Zeit und alles Gute für deine Zukunft, Konni!