Leistungssport ist ein knallhartes Geschäft: Hoher psychischer Druck und regelmäßige körperliche Überlastung gehören genauso wie strenge Ernährungspläne oder fehlende Freizeit zur Alltagsrealität von Topsportler*innen. Wer in einem Bundeskader nicht die erhoffte Leistung bringt, wird schnell aussortiert. „Der Nächste, bitte.“
In Deutschland bedeutet eine professionelle Leistungssportkarriere für viele olympische und paralympische Athlet*innen auch nur in den seltensten Fällen ein gesichertes Einkommen oder größere Berühmtheit. Deshalb geben viele hoffnungsvolle Talente ihren Traum schon weit vor ihrem sportlichen Zenit auf. Andere Sportler*innen sind durch Verletzungen oder neue Lebensumstände gezwungen, sich umzuorientieren. Auch einige Athlet*innen des GOLDENEN RING kehrten trotz großen sportlichen Potenzials dem Leistungssport den Rücken. In unserer Serie „Was macht eigentlich…?“ sprechen wir mit unseren ehemaligen Stipendiat*innen, wovon sie heute leben und was sie mit ein paar Jahren Abstand über ihre Zeit als Leistungssportler*innen denken.
Elina Annabell Lang gehörte zu den größten deutschen Talenten in der olympischen Disziplin Rhythmische Sportgymnastik (RSG). RSG ist eine turnerische Sportart, die nur von Mädchen und jungen Frauen betrieben wird. Sie besteht aus den Disziplinen Ball, Reifen, Keulen, Band, Seil und kann sowohl einzeln als auch in der Gruppe ausgeführt werden. Bei dieser Sportart stehen vor allem die Beweglichkeit und die rhythmische Bewegung zur Musik im Fokus.
Bei nationalen und internationalen Jugend-Wettkämpfen trat Elina für den TSV 1846 Nürnberg an und sammelte gerade national Titel wie am Fließband. Als „Stipendiatin der ersten Stunde“ war sie fast drei Jahre lang fester Bestandteil unseres Förderkaders. Im Jahr 2018 mit gerade mal 16 Jahren beendete Elina als mehrfache Deutsche Jugendmeisterin sehr überraschend ihre Leistungssportkarriere, noch bevor sie überhaupt einen einzigen Wettkampf im Senioren-Bereich bestritten hatte. Wir haben Elina kontaktiert und sie bei einem Telefoninterview danach gefragt, welchen Weg sie in ihrem Leben nach der Leistungssportkarriere eingeschlagen hat.
DER GOLDENE RING (DGR): Wir fallen gleich mal mit der Tür ins Haus: Elina, wo lebst du heute und was machst du beruflich?
Elina: Ich lebe momentan noch in Nürnberg bei meinen Eltern und studiere im 3. Semester Psychologie an der FAU in Erlangen.
DGR: Aber ganz ohne Sport geht es nicht, oder? Wie sieht dein derzeitiges Sportpensum aus?
Elina: Momentan trainiere ich nicht wirklich viel, weil ich lange Zeit krank war. Wenn dann mache ich zuhause etwas für mich: Krafttraining oder Dehnen. Beim ATV Frankonia habe noch während meiner Leistungssportkarriere angefangen Kinder zu trainieren und zu betreuen. Das mache ich auch weiterhin.
DGR: Somit kennst du den Sport jetzt auch aus Trainerperspektive?
Elina: Ja, genau. Und das macht mir auch wirklich Spaß, weil ich mit Kindern arbeiten schon immer interessant fand.
DGR: Womit verbringst du deine Freizeit neben den sportlichen Aktivitäten?
Elina: Freizeit bleibt momentan nicht viel, v.a. in der Prüfungsphase eigentlich gar nicht. Aber sonst spiele ich unglaublich gerne Klavier und mache was mit meiner Familie oder gehe raus an die frische Luft zum Spazieren.
DGR: Das Klavier hast du zuhause?
Elina: Ja, da setze ich mich immer dran, wenn ich irgendwie Zeit finde. Dabei kann ich die Seele baumeln lassen und es lindert den Stress.
DGR: Hast du ein Lieblingsstück?
Elina: Nicht direkt aber ich liebe die Stücke von Chopin.
DGR: Vermisst du die Zeit als Leistungssportlerin? Bereust du manchmal, dass du so früh ausgestiegen bist?
Elina: Klar vermisse ich es schon manchmal. Die Liebe für den Sport und die Leidenschaft ist ja immer noch da und ich glaube die wird auch nie weggehen. Bereuen tue ich es eigentlich nicht, weil es hat mir schon irgendwie gezeigt, dass ich mehr auf mich, meine Gesundheit achten sollte, was ich eben beim Sport so lange vernachlässigt habe. Auch andere Interessen wie zum Beispiel das Klavierspielen sind komplett auf der Strecke geblieben.
DGR: Würdest du heute den gleichen Weg gehen, den du damals gegangen bist oder würdest du etwas anders machen?
Elina: Schwierige Frage. [lacht] Ich denke ich wäre am Ende schon wieder im Psychologie-Studium gelandet, weil mich das einfach sehr interessiert. Aber ich denke nicht, dass ich großartig was anders machen würde. Ich würde vielleicht etwas mehr auf mich und meine Gesundheit achten und manches im Sport nicht ganz so nah an mich ranlassen.
DGR: Du hast eine sehr erfolgreiche RSG-Karriere im Jugendbereich hinter dir. Gibt es einen Erfolg oder ein Ereignis auf das du besonders stolz bist?
Elina: Das war die Deutsche Meisterschaft beziehungsweise das deutsche Turnfest 2017 in Berlin, wo ich auch gewonnen habe. Ich habe sehr lange daraufhingearbeitet. Es hat mich besonders gefreut, dass ich mein Ziel erreicht und den Titel gewonnen habe.
DGR: Welchen Tipp kannst du jungen Sportlerinnen mit gleichen Ambitionen geben?
Elina: Für mich ist das Wichtigste Durchhaltevermögen. Manchmal kommt man einfach an einen Punkt, an dem es nicht einfach ist, es nicht weitergeht. Aber darüber sollte man hinwegsehen und sich denken, dass es bald wieder bergauf geht. Denn irgendwann hat jede schwierige Zeit ein Ende. Ich finde wirklich, dass Fleiß sich immer auszahlt.
DGR: Hast du noch Kontakt zu alten Weggefährtinnen aus dem Leistungssport? Mit wem und wobei?
Elina: Ich muss sagen, zu Weggefährtinnen aus meinem alten Verein habe ich sehr wenig bis gar keinen Kontakt. Aber zu anderen Sportlerinnen aus anderen Städten, die früher mit mir geturnt haben, und auch schon aufgehört haben, habe ich noch gelegentlich Kontakt. Wir haben uns damals auf Lehrgängen, manchmal auf internationalen Turnieren und bei den deutschen Meisterschaften getroffen und da sind dann Freundschaften entstanden.
DGR: Was war damals der Grund für deinen Ausstieg aus dem Leistungssport?
Elina: Ausschlaggebend dafür war vor allem meine Gesundheit. Ich bin einfach an einen Punkt gekommen, an dem mir mein Körper wichtiger als die Karriere im Sport geworden ist. Den Körper hat man eben nur einmal und man sollte damit vorsichtig umgehen.
Ich hatte 2018 Pfeiffersches Drüsenfieber und habe das verschleppt. Ich habe trotzdem immer weiter trainiert und mich nicht auskuriert. Zusätzlich hatte ich sehr viel Druck, Stress und Belastung. Ich bin dann an einen Punkt gekommen, an dem ich nicht weitermachen konnte. Ich habe auch in der RSG in Deutschland nicht mehr so viel Perspektive gesehen, weswegen ich mich dazu entschieden habe, den Sport nur noch für mich weiterzumachen. Aus Spaß, aus Leidenschaft, aber nicht leistungsbezogen.
DGR: Wie wichtig ist mentale Gesundheit deiner Meinung nach im Sport?
Elina: Mentale Gesundheit ist unglaublich wichtig. Ich glaube, man kann damit auch viele Verletzungen, vor allem physischer Natur, vorbeugen. Wenn der Körper in einem so hohen Belastungszustand ist und wenn man zusätzlich mental nicht gesund ist, dann ist der Körper viel anfälliger für Verletzungen und nimmt auch Schmerzen ganz anders wahr.
Vielleicht ist das auch das, was mich zum Psychologie-Studium gebracht hat. Ich habe einfach gemerkt, wie wichtig die mentale Gesundheit ist. Gerade bei der Vorbereitung auf Wettkämpfe und Trainingseinheiten. Diese Vorbereitung hat man mir oftmals auch einfach nicht gegeben. Und ich glaube, das hat auch eine große Rolle gespielt, warum ich dann letztendlich gesagt habe, dass ich mit der RSG aufhöre.
DGR: Also meinst du, mentale Gesundheit ist eine Komponente, die im Leistungssport noch gar nicht ausgeschöpft ist?
Elina: Auf jeden Fall sollte man darauf stärker setzen und die Sportler hier besser betreuen.
DGR: Das wäre ja dann eine Aufgabe für dich, wenn du dein Studium beendet hast?
Elina: Tatsächlich habe ich immer wieder daran gedacht meinen Master in Sport-Psychologie zu machen. Das ist noch nicht sicher, weil es von meinem Bachelorschnitt abhängt und ob ich einen Studienplatz finde. Falls es nicht funktionieren sollte, möchte ich in die klinische Psychologie.
DGR: Wieder in den Leistungssport einzusteigen ist also nicht dein Plan in nächster Zeit?
Elina: Ich hatte es mir 2019 wirklich überlegt, aber dann hat sich 2020 die Situation durch Corona komplett verändert. Wir durften nicht in die Halle und nicht trainieren. Ich habe deshalb Flexibilität verloren und es war schwer wieder anzufangen. Durch die Pause war mein Körper aufeinmal nicht mehr an die hohe Belastung gewöhnt. Dann habe ich es doch wieder gelassen.
DGR: Wieder in den Leistungssport einzusteigen ist also nicht dein Plan in nächster Zeit?
Elina: Ich hatte es mir 2019 wirklich überlegt, aber dann hat sich 2020 die Situation durch Corona komplett verändert. Wir durften nicht in die Halle und nicht trainieren. Ich habe deshalb Flexibilität verloren und es war schwer wieder anzufangen. Ich habe plötzlich Rückenschmerzen bekommen. Durch die Pause war mein Körper aufeinmal nicht mehr an die hohe Belastung gewöhnt. Dann habe ich es doch wieder gelassen.
DGR: Wo siehst du dich in 20 Jahren und was sind deine nächsten Ziele im Leben, die du dir gesetzt hast?
Elina: Früher habe ich mir Ziele gesetzt, aber mittlerweile habe ich gelernt, dass das Leben doch ziemlich unvorhersehbar ist. Für die Zeit in 20 Jahren habe ich noch kein konkretes Ziel. Ich nehme das Leben momentan so wie es kommt. Ich denke, das Wichtigste ist einfach, dass ich zufrieden und gesund bin und dass meine Familie zufrieden und gesund ist. Mehr brauche ich im Moment auch nicht.
DGR: Danke für deine Zeit und alles Gute für deine Zukunft!