„Ich habe die Olympia-Erfahrung immer nur mit einem grauen Schleier gesehen.“ – Interview mit Nadja Pries

Leistungssport ist ein knallhartes Geschäft: Hoher psychischer Druck und körperliche Überlastung gehören genauso wie strenge Ernährungspläne oder fehlende Freizeit zur Alltagsrealität von Topsportler*innen. Wer in einem Bundeskader nicht die erhoffte Leistung bringt, wird schnell aussortiert. „Der Nächste, bitte.“

In Deutschland bedeutet eine professionelle Leistungssportkarriere für viele olympische und paralympische Athlet*innen nur in den seltensten Fällen ein gesichertes Einkommen oder größere Berühmtheit. Deshalb geben viele hoffnungsvolle Talente ihren Traum schon weit vor ihrem sportlichen Zenit auf. Andere Sportler*innen sind durch Verletzungen oder neue Lebensumstände gezwungen, sich umzuorientieren. Auch einige Athlet*innen des GOLDENEN RING kehrten trotz großen sportlichen Potenzials dem Leistungssport den Rücken. In unserer Serie „Was macht eigentlich…?“ sprechen wir mit unseren ehemaligen Stipendiat*innen, was aus Ihnen geworden ist und wie ihr Leben heute aussieht.

Auch Nadja Pries erhielt ein Stipendium vom GOLDENEN RING. Sie gehörte viele Jahre zu den weltweit erfolgreichsten Athletinnen der Disziplin BMX-Race. Nadja startete für den Radsportclub 1950 Erlangen e. V. und feierte sowohl in ihrer Zeit bei den Junioren als auch im Elite-Bereich zahlreiche Erfolge. Bei Junioren-Weltmeisterschaften errang sie zweimal Silber und einmal Bronze und bei Junioren-Europameisterschaften zweimal Bronze. Insgesamt sammelte Nadja elf Deutsche Meistertitel. Ihre Karriere krönte sie mit der Teilnahme bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. 2017 zog sie nach Nürnberg und erhielt ein Stipendium beim GOLDENEN RING.

Im Januar 2021 beendete Nadja Pries überraschend ihre BMX-Karriere. Einige Monate später erfuhr sie vom DOSB, dass sie sich wegen einer pandemiebedingten Entscheidung des Weltverbandes, doch noch für die Olympischen Spielen von Tokio qualifiziert hatte. Nadja entschied sich letztlich aber gegen eine Teilnahme. Seitdem hat sich viel im Leben der umtriebigen Blondine getan. Wir haben die heute 27-jährige zum Interview getroffen.

DER GOLDENE RING (DGR): Nadja, wo steht dein BMX-Rad im Moment? Hat es schon eine Staubschicht?

Nadja: Es steht im Keller meiner Oma und ich glaube, der zweite Teil der Frage lässt sich demnach relativ einfach selbst beantworten. [lacht] Ich glaube, es hat schon eine dicke Staubschicht angesetzt, da ich es tatsächlich seit über einem Jahr nicht mehr bewegt und angefasst habe. Nach mir rufen höre ich es nachts aber auch noch nicht. [lacht] 

DGR: Ohne Sport geht es bei dir ja nicht. Wie sieht dein derzeitiges Sportpensum aus?

Nadja: Die letzten Monate habe ich schon sehr viel trainiert. Also ganz normal fünf Trainingstage die Woche mit ein bis zwei Einheiten am Tag und zwei Restdays. Insbesondere in der Zeit vor meiner Prüfung. Jetzt mit der Prüfung und weil auch ein paar Wettkämpfe kommen ist das Pensum deutlich weniger.

DGR: Das war dann CrossFit und kein Radsport oder?

Nadja: Genau, im Winter eigentlich nur CrossFit, aber wenn das Wetter wieder ein bisschen besser wird, dann werde ich wieder mehr Zeit auf dem Mountainbike verbringen. Ich habe es diesen Winter mal genossen, dass ich nicht gezwungener Maßen auf das Rad musste, wenn das Wetter schlecht war. Jetzt kann ich es mir rausnehmen, dass ich Mountainbiken gehe, wenn das Wetter gut ist und ich richtig Lust darauf habe. Ich bin jetzt eine Schönwetterfahrerin. [lacht]

Ganz ohne Radsport geht es nicht: Nadja Pries bei einem Downhill-Wettkampf im Jahr 2021.
Ganz ohne Radsport geht es nicht: Nadja Pries bei einem Downhill-Wettkampf im Jahr 2021.

DGR: Nach dem Ende deiner BMX-Karriere hast du bei einem Downhill-Wettbewerb reingeschnuppert. Wie ambitioniert bist du dabei? Olympisch ist die Sportart ja noch nicht…

Nadja: Ja genau. Olympisch ist sie nicht und ich glaube, in den nächsten Jahren wird es auch nicht so sein. Die Ambition hätte ich tatsächlich auch nicht. Ich bin bisher nur ein Rennen gefahren und das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich könne mir auch vorstellen, da mehr zu fahren. Mein langjähriger Sponsor Schamel unterstützt mich dabei auch weiterhin. Ich fahre ein paar Rennen zusammen mit meinem Bruder und die habe ich dieses Jahr auch geplant. Wenn ich etwas mache, dann will ich das auch gut machen. Da spricht der Sportlerehrgeiz aus mir. Aber jetzt zu sagen, ich habe die gleichen Ambitionen wie im BMX und es ist Priorität Nummer 1 in meinem Leben und danach lange nichts, das wäre falsch. Ich mache CrossFit und Mountainbike just for fun aber beides trotzdem wettkampforientiert.

DGR: Du hast im Oktober 2021 gemeinsam mit deinem Freund und deiner Mama den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und eine CrossFit Box eröffnet: CrossFit District Eighteen. Wie hat sich dein Leben dadurch verändert?

Nadja: Sehr stark eigentlich. Ich habe in meinem Leben davor nie richtig gearbeitet. Das einzige, was ich Vollzeit gemacht habe, war ein Praktikum und eine Werkstudententätigkeit. Aber ich hatte noch nie eine Festanstellung oder ein festes Einkommen. CrossFit District Eighteen ist auch nicht irgendeine Firma, sondern ich arbeite hier mit meiner Familie zusammen. Es ist ein Hobby, das ich zum Beruf machen konnte, ähnlich wie im Leistungssport vorher. Aber ohne dabei von der Hand in den Mund zu leben. Klar, die Selbstständigkeit bedeutet ein größeres Risiko, aber wir können hier unseren Traum verwirklichen. Das macht sehr viel Spaß.

DGR: Was unterscheidet CrossFit District Eighteen von einem Fitnessstudio? Warum sollte man zu euch kommen?

Nadja: Der größte Unterschied ist erstmal: Fitnessstudios sind extrem anonym. Man geht rein, macht sein Training und geht wieder nach Hause. Hier ist es sehr viel familiärer. Wir als Coaches kennen jeden Trainingsteilnehmer und die Trainingsteilnehmer kennen sich untereinander sehr gut. Die Meisten sind mittlerweile auch irgendwie befreundet und verabreden sich zusammen zum Training. Es entstehen viele Freundschaften. Das andere ist natürlich, dass jedes Training mit dem Coach „geführt“ ist. Das heißt, man muss sich nicht selbst etwas ausdenken und weiß dann nicht, ob es passt und ob man die Übung richtig ausgeführt hat. Wir stehen immer daneben. Wir pushen einerseits, andererseits finden wir auch immer die richtige Lösung für jeden Fitnesszustand. Außerdem ist es kein Training an Maschinen, sondern eine Mischung aus Ausdauertraining, Gymnastik – also turnerischen Elementen – und Gewichtheben, also klassisches Weightlifting. Der große Unterschied zum Fitnessstudio.

Nadja Pries beim Training in ihrer CrossFit Box.

DGR: Früher warst du Sportlerin, heute bist du also Trainerin. Wie ist es die andere Seite des Sports kennen zu lernen? Was ist besser, was ist schlechter daran?

Nadja: Das Coole ist, dass ich im Moment beides ausleben kann. Einerseits trainiere ich selbst und bin immer noch Athletin, andererseits kann ich mein Wissen jetzt auch an andere Menschen weitergeben. Mir hat es schon immer viel Spaß gemacht Tipps zu geben oder Menschen so zu helfen, dass sie merken „Hey, endlich klappt‘s!“. Wenn ich dann das Strahlen in den Augen sehe, wenn sie etwas Neues gelernt haben, dann ist das ein bisschen so wie an Weihnachten, wenn man jemandem ein gutes Geschenk gemacht hat. Ich konnte mir das vorher schon gut vorstellen aber bin natürlich jetzt auch froh, dass es sich in der täglichen Praxis auch genauso gut anfühlt, wie es sich in meiner Vorstellung angefühlt hat.

DGR: Bleibt dann überhaupt noch Zeit für nicht-sportliche Freizeitaktivitäten? Welche?

Nadja: Tatsächlich sehr wenig. Wenn ich aber mal eine Stunde habe, verbringe Zeit mit meinem Hund, gehe mit Freunden einen Kaffee trinken oder ich backe. Das mache ich auch sehr gerne.

DGR: Du hast eine sehr erfolgreiche BMX-Karriere hinter dir. Gibt es einen Erfolg oder ein Ereignis auf das du besonders stolz bist beziehungsweise das dir bis heute positiv im Gedächtnis geblieben ist?

Nadja: Das ist gar nicht ein Ereignis an sich. Aber während ich noch aktiv war, vielleicht Olympia 2016. Während meiner aktiven Zeit, war ich eigentlich nur enttäuscht, dass ich meine Leistungen nicht abrufen konnte. Ich habe auch die Olympia-Erfahrung immer nur mit einem grauen Schleier gesehen und habe mich auch selbst schlecht geredet a lá „Ich war zwar da, aber nicht gut“. Mit etwas Abstand betrachtet, bin ich definitiv stolzer darauf, was ich alles geleistet habe. Vor allem unter den Bedingungen, die ich hier hatte. Wenn ich darauf zurückblicke, was ich alles selbst machen musste, wo ich mich hinkämpfen musste und wie ich das alles alleine organisieren musste, ist es letztendlich schon eine große Leistung gewesen. Als ich aktiv war, habe ich das immer alles sehr negativ gesehen, weil es immer nie gut genug war oder weil viele andere trotzdem noch besser waren. Heute kann ich da stolzer drauf sein.

Nadja Pries BMX Race (Foto: Andy Küchenmeister)

DGR: Nach deinem Karriereende hast du dich überraschend für die Olympischen Spiele von  Tokio qualifiziert. Kannst du kurz beschreiben, was das mit dir gemacht hat und warum du dich letztendlich gegen eine Teilnahme entschieden hast?

Nadja: Als ich es gehört habe, war ich innerlich schon sehr aufgewühlt und kam mir umgangssprachlich gesagt „verarscht“ vor. Ich habe mich mein komplettes Leben lang gequält, um dahin zu kommen. Und nach so viel Kampf und Unsicherheit habe ich mich dazu entschieden, aus der Qualifikation auszusteigen. Und dann wird mir das Ticket buchstäblich vor die Nase gehalten. Aber mein Bauchgefühl hat mir im gleichen Moment gesagt, dass ich nicht teilnehmen kann. Einfach, weil ich mental mit dem Sport durch war. Ich habe ja nicht einfach aus einer Laune heraus aufgehört, sondern es gab gute Gründe.

Einerseits dachte ich mir schon, es wäre cool, nochmal bei Olympischen Spielen dabei zu sein, aber andererseits wusste ich auch, dass ich absolut nicht bereit bin. Nicht unbedingt körperlich, sondern mental hätte ich das nicht gepackt. Deswegen stand die Absage relativ schnell fest.

DGR: Denkst du manchmal, dass du zu früh ausgestiegen bist? Oder bist du mit dir im Reinen?

Nadja: Nein, zu früh sicher nicht. Manchmal denke ich sogar, ich hätte früher Schluss machen können. Ich hatte rückblickend schon länger nicht mehr den Spaß am BMX-Sport, den ich ursprünglich mal hatte. Ich glaube, man kann es ein bisschen mit einer Beziehung vergleichen, die eigentlich nicht mehr so toll und gewinnbringend läuft, aber Gewohnheit geworden ist. Ich musste mich zu vielen Reisen und Rennen selbst extrem motivieren. Ich glaube, das hat enorm viel Kraft gekostet. Deswegen hätte ich den Ausstieg auch ein bis zwei Jahre früher machen können. Ich habe nach den Verletzungen gemerkt, dass ich vom Kopf her einfach überhaupt nicht mehr befreit war und eher mit der Einstellung „Ich muss das tun!“ und „Ich muss anderen beweisen, dass ich wieder zurückkommen kann!“ weitergemacht habe. Da war dann schon ein bisschen die Luft raus. Aber im Nachhinein ist alles so gelaufen, wie es laufen sollte.

DGR: Würdest du heute den gleichen Weg gehen, den du in deiner Leistungssportkarriere gegangen bist oder würdest du etwas anders machen?

Nadja: Schwere Frage, aber letztendlich glaube ich, dass alles doch so kommt, wie es kommen soll. Ich glaube, wenn ich früher aufgehört hätte, dann hätte sich eher die Frage gestellt, ob es zu früh war. Und so war es wirklich an der Zeit und ich konnte mit einem komplett reinen Gewissen sagen, dass ich es nicht weitermachen kann und will.

DGR: Fehlt dir eigentlich der Adrenalinkick? Ich meine, wenn man an die Geschwindigkeiten und Sprünge beim BMX-Race denkt. Und man ist ja nicht allein auf der Strecke…

Nadja: Von der Anspannung her ist es beim CrossFit nicht das Gleiche, weil ich weiß, dass es keine Verletzung nach sich zieht, wenn ich an meine Grenzen gehe. Aber das ist tatsächlich auch das, was ich für meinen Kopf gerade brauche. Genau das hatte mich am Ende meiner BMX-Karriere so gequält. Zu wissen, wie gefährlich der Sport ist und was passieren kann. Gerade suche ich nicht aktiv nach Situationen, die wieder genauso gefährlich sind, sondern für mich ist es gerade eher ein bisschen entspannend, dass ich weiß, ich kann mal richtig Gas geben, ohne dass ich das Angstgefühl im Hinterkopf habe. Im Sommer, wenn ich ein bisschen Downhill fahre, ist das Adrenalin in ähnlicher Art und Weise schnell wieder da.

DGR: Welchen Tipp kannst du jungen Sportlern mit gleichen Ambitionen geben?

Nadja: Ich glaube, das Wichtigste ist, den Spaß nicht zu verlieren. Leistungssportler haben das „Problem“, das man alles sehr, sehr diszipliniert verfolgt. Das ist auch gut, weil sonst würden wir nicht dahinkommen, wo wir hinkommen. Aber es ist manchmal auch mal gut alle Fünfe gerade sein zu lassen. Das würde ich meinem jüngeren Ich auch raten. Man darf sich auch mal eine Pause gönnen, wenn es nicht so läuft. Natürlich ist das nicht gut, wenn es sich kumuliert, aber die eine Einheit oder das eine Mal Ausgehen am Abend wird nicht den kompletten Traum ruinieren. Da darf man durchaus ein bisschen mehr Mensch sein.   

DGR: Hast du noch Kontakt zu alten Weggefährten aus dem Leistungssport? Mit wem und wobei?

Nadja: Eigentlich nur zu Jennifer Rosenmüller aus Erlangen. Sie ist zehn Jahre jünger, hat aber zeitgleich mit mir aufgehört und war auch ein sehr großes Talent. Es ist sehr schade, dass sie zehn Jahre jünger ist. Ich glaube, wir hätten beide eine viel bessere Zeit im BMX gehabt, wenn unsere Karrieren zeitgleich gelaufen wären. Aber durch den großen Altersunterschied waren wir natürlich immer auf unterschiedlichen Rennen oder sie war nicht mit dem Bundeskader unterwegs. Deswegen waren wir als Mädels immer komplett alleine, was es für uns zusätzlich schwer gemacht hat.

DGR: Du hast vor Kurzem deine Bachelorarbeit in Psychologie abgegeben. Anfang Februar hattest du deine letzten Prüfungen. Wie sehen deine nächsten Ziele im Leben aus?

Nadja: Diese Frage stelle ich mir im Moment auch sehr oft. [lacht] Natürlich hoffe ich, dass das unsere CrossFit Box langfristig so gut läuft. Es wäre schön, wenn wir in zehn Jahren einige festangestellte Trainer zusätzlich zu uns hätten. Und vielleicht baue ich mir nebenher noch etwas mit Ernährungsberatung auf. Schön wäre auch, wenn wir irgendwann in einem eigenen Haus leben würden. Wir wollen auf jeden Fall noch Coaching-Tätigkeiten machen, aber nicht mehr jeden Tag, und nicht mehr jede Klasse. Es sollte in die Richtung gehen, dass wir unsere eigenen Coaches weiterbilden und somit auch die CrossFit Box weiterbringen können.

DGR: Dafür drücken wir dir die Daumen. Danke für deine Zeit und alles Gute für deine Zukunft.